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Accessible Infographics, der Overall Winner des #CFHack2025 – Interview mit Anne-Mieke Bovelett

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Wolf-Dieter Fiege
Titelmotiv des Blogartikels zum Thema: Accessible Infographics, der Overall Winner des #CFHack2025 - Interview mit Anne-Mieke Bovelett
Wir sind hier auf dem CloudFest Hackathon 2025. Wer bist du?

Anne-Mieke Bovelett: Hi, ich bin Anne-Mieke Bovelett.

Wie bist du zum Cloudfest Hackathon gekommen?

Anne-Mieke Bovelett: Ich habe schon vor Jahren vom CloudFest Hackathon gehört und wurde vor 3 Jahren eingeladen, bei einem Projekt für barrierefreie Events mitzumachen. Das war ein zeitlich begrenztes Projekt im Rahmen des Hackathons.

Das hat mir dermaßen gut gefallen, dass ich für das darauffolgende Jahr selbst ein Projekt eingereicht habe. Das hieß: Can Everyone Use. Es handelte sich dabei um ein Projekt für Entwickler, bei dem man z.B. checken kann, ob ein bestimmter CSS-Code in allen Browsern funktioniert. Man kann mit diesem Tool auch Component Libraries checken, ob diese Barrierefreiheitsprobleme haben. Man sieht sofort, welche Komponenten Probleme machen und wie man das Problem selber lösen kann. Denn das Thema Barrierefreiheit ist ja seit langem mein Spezialgebiet. Das Projekt Can Everyone use gibt es noch und es wird noch immer weitergeführt.

Diese Erfahrungen haben mich langsam süchtig gemacht. Ja, so bin ich zum CloudFest Hackathon gekommen.

Du hast das dieses Jahr fortgesetzt und wieder mit einem eigenen Projekt.

Anne-Mieke Bovelett: Ja, das Projekt in diesem Jahr (Accessible Infographics – a new standard for inclusivity in visual communication) ist zusammen mit Nina Jameson und Tobias Roppelt von gehirngerecht.digital entstanden. Mit beiden bin ich häufig im Austausch. Sie geben sehr viele Kurse zum Thema Barrierefreiheit und beraten beim Aufbau barrierefreier Webseiten.

Mit beiden habe ich mich letztes Jahr an einen Tisch gesetzt und habe sie gefragt: Was hättet ihr denn für Ideen? Was können wir Gutes tun für die Community? Eine Bedingung: Es sollte wirklich relevant und für Hunderttausende, wenn nicht für Millionen Menschen, nützlich sein. Dann habe ich meine Ideen eingebracht und sie haben ihre Ideen eingebracht und dann sind wir gemeinsam auf die Idee für ein Plugin gekommen, mit dem man Infografiken barrierefrei machen kann. Kurz gesagt sollen Leute, wenn sie ein CMS benutzen und dort eine Infografik hochladen einfach auf etwas klicken können, damit die Infografik automatisiert so umgewandelt wird, dass sie auch von einem Screenreader gelesen werden kann. Oder auch als Text für jemanden zur Verfügung steht, der z.B. mit einer komplexen Infografik nicht zurechtkommt. Das kann eine Statistik sein, es können aber zum Beispiel auch Informationen zu Kleidergrößen sein.

Das Plugin soll helfen, wenn man es nicht gut lesen kann oder wenn man jemanden braucht, der es einem vorliest. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn man einen Screenreader benutzt. Es gibt auch viele andere Situationen, in denen man sich etwas vorlesen lassen möchte im Internet.

Wir haben jetzt für WordPress ein solches Plugin gebaut, das man einfach installieren kann. Es gibt dazu übrigens auch eine Webseite.

Wenn man eine Infografik in die Media-Library hochlädt passiert die Magie. Die AI erkennt die Grafik und setzt sie in Text um. Aber KI macht natürlich nicht immer alles richtig, es kann sein, dass die KI zum Beispiel Käse statt Hase schreibt. Mit unserem Plugin kann man das immer noch korrigieren und dann auf Okay klicken.

Warum ist das wichtig? Wenn man Infografiken von Hand bearbeiten wollte, würde die Umwandlung einer Infografik in Text ca. 1 bis 1 1/2 Stunden dauern. Und da muss man schon wissen, was man macht. Man braucht dafür die Kompetenz eines Content Creators oder Entwicklers, um das machen zu können.

Mit unserem Plugin geht das jetzt mit zwei Klicks in weniger als 5 Minuten. Unternehmen mit großen Webshops, die das jetzt hören, werden sich freuen, denn das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz kommt ja jetzt.

Unternehmen werden verstehen, dass man mit einem Webshop viel mehr verkaufen kann, wenn er richtig barrierefrei gemacht wurde. Anstatt 1.000 Infografiken teuer von Hand umsetzen zu lassen, damit sie barrierefrei werden, geht das mit unserem Plugin sehr viel schneller, einfacher und billiger. Das Geld können Unternehmen dann viel besser für etwas anderes einsetzen.

Mit eurem Plugin geht die Umwandlung einer Infografik in Text sehr viel schneller. Aber die Freigabe für die Umwandlung erfolgt weiterhin manuell. Jede „Übersetzung“ der Infografik in barrierefreien Code wird zwar vorbereitet, aber man muss das individuell freigeben.

Anne-Mieke Bovelett: Ja, man muss das individuell freigeben. Das muss man eigentlich immer, denn man kann KI immer noch nicht vertrauen, dass sie es zu 100% perfekt macht. Weil der KI meist der Kontext fehlt. Wenn man mit KI arbeiten möchte und den richtigen Kontext zur Verfügung hat, dann ist man auf einem ganz anderen Level. Und wir wollen das zur Verfügung stellen. Für alle.

Es ist übrigens wichtig zu wissen, dass wir das, was wir jetzt als MVP für WordPress entwickelt haben, sehr gut dokumentiert ist. Die Dokumentation für Entwickler ist so aufbereitet, dass diese alles haben, um das gleiche für ihr favorisiertes CMS entwickeln zu können. Ob für Joomla, für TYPO 3, für Drupal oder für ein anderes CMS.

Das heißt, es lässt sich für jedes andere CMS leicht adaptieren.

Anne-Mieke Bovelett: Ja, es lässt sich leicht adaptieren.

Welche Art von KI nutzt ihr für euer Plugin?

Anne-Mieke Bovelett: Mein Team hat da – glaube ich – OpenAI genutzt. Das funktioniert über einen sogenannten API-Key.

Wenn man die KI in einer Software-Umgebung nutzen möchte, muss man die Software mit der KI sprechen lassen. So nach dem Motto: „Knock-Knock, hier ist mein Schlüssel. Mach die Tür auf und gib mal rüber.“ Dafür ist der API-Key da.

Aktuell nutzen wir Open AI, aber im nächsten Schritt wird das so gemacht, dass man die KI wählen kann, die man nutzen möchte. Man muss nur seinen API-Schlüssel eingeben.

Aktuell rechnen wir gerade zusammen, was es alles braucht, um die nächsten Schritte zu tun.

Momentan funktioniert das Plugin bei allen Infografiken, die man neu in die Mediathek hochlädt. Aber es gibt Webshops und Webseiten, die Dutzende, die Tausende - ja, die sogar bis zu Hunderttausende von Infografiken haben.

Die Umwandlung findet beim Upload der Infografik statt?

Anne-Mieke Bovelett: Ja, aktuell findet die Umwandlung beim manuellen Upload einer Infografik statt oder wenn die Infografik schon in der Mediathek liegt und ausgewählt wird. Im Moment ist das bei WordPress für einzelne Infografiken möglich. Der nächste Schritt wird sein, dass die Umwandlung via Bulk, das heißt in Form einer Stapelverarbeitung, möglich sein wird - für das gesamte CMS.

Wir wissen noch nicht genau, wie wir das zusammenstellen, weil wir dazu zusammenkommen müssen, um das auszuarbeiten.

Außerdem haben wir vor, dass der Umwandlungsprozess auch umgekehrt funktionieren soll. Das heißt, wir möchten ein Image bzw. eine Infografik aus Textdateien generieren. Das ist da interessant, wo es um Tabellen geht oder Finanzübersichten etc. Das wären superinteressante Anwendungsfelder. Denn da kann man dann seine Tabellen hochladen und dann wird daraus eine richtig schöne Infografik gemacht. Das geht dann alles noch schneller und barrierefrei.

Mit eurem Plugin wollt ihr zukünftig auch barrierefreie Infografiken generieren. Gibt es dann auch die  Möglichkeit, diese Infografiken zu branden, einen bestimmten Farbstyle zu verwenden oder ein Logo einzubinden?

Anne-Mieke Bovelett: Klar, das sind alles Dinge, die bei der Umwandlung von Text zur Infografik relevant sind. Wir können diesen Prozess so komplex ausbauen, wie wir wollen.

Für das aktuelle Plugin planen wir noch eine automatische Kontrastoptimierung. Damit eine Infografik barrierefrei ist, sollten auch die Farbkontraste stimmen. Eine Infografik sollte daher beim Upload automatisch optimiert werden.

Warum ist das so wichtig? Statistisch gesehen haben 8% der Männer und ca. 0,5% aller Frauen eine angeborene Farbenblindheit. Allein schon für diese Zielgruppe müssen die Farbkontraste stimmen. Es gibt aber auch Personen, die lichtempfindlich sind oder die müde sind. Diese bekommen Probleme, wenn die Farbkontraste nicht richtig sind. Man kann das Abgebildete dann nicht richtig erkennen.

Dann wird es anstrengend.

Anne-Mieke Bovelett: Ja, das kann dann der Grund sein, dass bestimmte Personen die Informationen nicht konsumieren können oder nicht wollen, weil sie denken: Das ist mir jetzt zu anstrengend, insbesondere bei längeren Texten.

Für diese Unwilligkeit gibt es ja den tollen Spruch tl;dr (to long; didn’t read). Das ist zu lang, das habe ich nicht gelesen.

Es gibt auch Personen, die kognitive Schwierigkeiten haben. Für diese kann eine Infografik zu komplex sein und wenn dann auch noch ein schlechter Kontrast dazu kommt, dann denkt man sich: Ich mache das nicht. Lasst mich in Ruhe. Ich gehe weg.

Unser Plugin soll deshalb auch – ich nenne das immer, mittels digitaler Magie – den Kontrast eines Bildes automatisch optimieren, während man es hochlädt. Hat das Ursprungsbild nicht den richtigen Kontrast, wird es mit Farbfiltern optimiert. Ich spare mir hier die technischen Details.

Und das kann das Plugin jetzt schon?

Anne-Mieke Bovelett: Nein, das kann es jetzt noch nicht.

Das ist also der nächste Schritt?

Anne-Mieke Bovelett: Ja. Aber es kann schon jetzt etwas, das wir gestern ausprobiert haben: Es erkennt auch Bilder in sehr schlechter Qualität.

Wir haben ein Bild, ein Kuchendiagramm hochgeladen, das von der Qualität her so schlecht war, dass man zwar die großen Texte gerade noch lesen konnte, aber die Zahlen und Prozentzahlen nicht mehr. Die KI hat das aber alles fehlerfrei übersetzt.

Wahnsinn.

Anne-Mieke Bovelett: Ja, das war ein Gänsehautmoment.

Gibt es bereits einen Sponsor, der euer Projekt weiter begleiten wird oder seid ihr noch auf der Suche?

Anne-Mieke Bovelett: Wir sind noch auf der Suche nach einem Sponsor.

Soll das Plugin kostenfrei zur Verfügung stehen?

Anne-Mieke Bovelett: Es soll kostenfrei zur Verfügung stehen, weil das Thema Barrierefreiheit alle betrifft. Und ich fände es eine Schande, wenn das ausgenutzt würde.

Es gibt Unternehmen, die investieren Millionen in Programme, mit denen man Webseiten in puncto Barrierefreiheit testen kann. Automatisiert lässt sich das bisher aber nur zu 25% prüfen. Und für diese Tests verlangen sie viel Geld.

Aber ich möchte, dass sich Barrierefreiheit nicht nur Firmen leisten können, wie Amazon, MediaMarkt oder Saturn, die Millionen von Grafiken barrierefrei machen müssen. Die haben tonnenweise Infografiken. Wichtig ist, dass alle Webseiten so schnell wie möglich barrierefrei sind. Das ist für alle gut. Und ich finde es doof, wenn man dafür noch einen Haufen Geld verlangt.

Einfacher ist da der Open-Source-Gedanke. Aber wenn man Open-Source hört, denken viele: Oh, das machen alles Freiwillige, das muss alles kostenlos sein …

Nein. Man muss sich nur das OBS Studio Projekt anschauen. OBS Studio ist eine tolle Video- und Aufnahme-Software. Es war unglaublich teuer, diese zu entwickeln. Das ganze Projekt wird unter anderem gesponsort von YouTube, weil es für YouTube wichtig ist, dass Leute tolle Videoaufnahmen teilen können.

So etwas wollen wir mit unserem Plugin erreichen. Ich hoffe, dass es ein oder zwei große Firmen gibt, die das Projekt unterstützen. Wir reden hier von Kosten in Höhe von etwa 200.000 bis 300.000 Euro. Und ich hoffe, dass es große Firmen gibt, die sehen, dass sie mit unserem Plugin Millionen sparen können.

Aus Spaß habe ich das mal zusammengerechnet. Sagen wir mal: 10% aller Grafiken von Amazon weltweit sind nicht barrierefrei. Das sind etwa 350.000. Für die Umwandlung in eine barrierefreie Grafik rechnet man einfach mal 350.000 x 1,5 Stunden, wenn man das händisch machen müsste. Und nehmen wir mal an, da gibt es jemand, der das ganz billig machen würde, sagen wir für 10 Euro pro Stunde, dann sind das schon mal 3,5 Millionen.

Wenn man das Ganze mit einem Plugin wie dem unseren machen könnte, würde man 3,2 Millionen sparen.

Ich hoffe, dass es Firmen gibt, die das einsehen und denken: Naja, diese 200.000 oder 300.000, die diese Leute da brauchen, damit das alle nutzen können, das würden wir gerne investieren. Man kann mich gerne kontaktieren.

Ist das schon auf eurer Webseite, sozusagen als Crowdfunding-Aufruf.

Anne-Mieke Bovelett: Nein, noch nicht. Aber die Webseite steht und heißt visua11y.org. „a11y“ ist ein sogenanntes Numeronym und steht für Accessibility. Das ist das englische Wort für Barrierefreiheit. Das ist typisch für Amerikaner, die arbeiten gerne mit Numeronymen.

Ein schöner Gimmick.

Anne-Mieke Bovelett: Ja.

Einen großen Erfolg habt ihr gerade schon erzielt: Euer  Projekt ist als Overall Winner des CloudFest Hackathons 2025 ausgezeichnet worden.

Anne-Mieke Bovelett: Ja, wir haben zwei Awards bekommen, einen in der Kategorie „Breaking Barriers“ und zudem wurden wir als „#CFHack2025 Overall Winner“ ausgezeichnet. Und das war eine große Überraschung und eine große Freude, denn es gab so viel gute Projekte, die sehr erfolgreich waren.

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für das Interview.