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Interview mit dem WordPress-Schöpfer Matt Mullenweg

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Oliver Lindberg

Matt Mullenweg ist Mitgründer von WordPress und CEO von Automattic. Er war einer der Keynote-Speaker auf dem WordCamp Europe 2018 in Belgrad und stand uns anschließend für Fragen und Antworten zur Verfügung.

Sein Vortrag zu Open Source drehte sich vor allem um die Themen Public Money und Public Code- Kampagnen. Dabei stellte Matt die Frage, warum eine Software, die mit Steuergeldern erstellt worden ist, nicht als freie Software veröffentlicht wird.

Den größten Teil seines Vortrags widmete Matt Mullenweg aber dem Thema Gutenberg, dem neuen WordPress-Editor, der mit vereinheitlichten Elementen (Blöcke genannt) arbeitet, die auf allen Typen von Endgeräte genutzt werden können. Der Gutenberg Editor wird in WordPress 5.0 integriert und voraussichtlich im August 2018 veröffentlicht werden. Mehr als 14.000 Webseiten nutzen bereits den Gutenberg Editor aktiv als Plugin. Das Ziel ist es, dass bis zur offiziellen Veröffentlichung von Gutenberg Hunderttausende von Nutzern den neuen Editor testen.

Auf die Frage nach seinen bevorzugten Gutenberg-Features hob Matt die Kopieren/Einfügen-Funktion von Tools wie Google Docs, Microsoft Word, Evernote und Markdown hervor, die jetzt auf Gutenberg-Blöcke übertragen wird.

Nach seinem Vortrag konnten wir uns mit Matt zusammenzusetzen, um mehr über den Gutenberg-Editor, die Zukunft von WordPress sowie über die Zusammenarbeit von Designern und Entwicklern bei Automattic zu erfahren. Viel Spaß beim Hören und/oder Lesen!

Zum Videointerview mit Matt Mullenweg - mit einem Klick auf das Bild starten Sie das Video

Zum Video WordCampf Europe 2018 - Interview mit Matt Mullenweg.

Oliver Lindberg: Wie möchtest du WordPress in den nächsten Schritten weiterentwickeln?

Matt Mullenweg:

Die Strategie ist die gleiche wie vor 5, 10 oder 15 Jahren. Es geht darum, unseren Nutzern bei ihren Problemen und Herausforderungen zuzuhören und mit unserer Community gemeinsam die beste Software-Lösung dafür zu entwickeln. Diesen Prozess gilt es dann kontinuierlich zu wiederholen!

Oliver Lindberg: Gibt es spezielle Funktionen, die sich WordPress-Anwender wünschen?

Matt Mullenweg:

Genau deshalb haben wir angefangen, an dem neuen Projekt namens Gutenberg zu arbeiten. Gutenberg ist im Grunde eine Neuinterpretation dessen, wie man Inhalte in WordPress bearbeiten und verwalten kann. Das WordPress, das uns nun seit 15 Jahren gut gedient hat, wird in dieser Form keine weiteren 15 Jahre weiterlaufen können. Als WordPress entstand, gab es kaum JavaScript. Der neue Gutenberg-Editor bietet jetzt nicht nur ein modernes Interface, sondern auch einen Entwicklungsrahmen und wird meiner Meinung nach die Basis für alles sein, was wir mit WordPress tun werden. In der ersten Version ermöglicht der Gutenberg-Editor die Änderung von Beiträgen und Seiten. Zukünftig wird die gesamte Webseite aus Lego-ähnlichen Blöcken bestehen, die man neu anordnen, modifizieren und anpassen kann. Die einzige Grenze der Möglichkeiten ist die Kreativität.

Oliver Lindberg: Welche Vorteile bietet Gutenberg für Entwickler und Designer?

Matt Mullenweg:

Gutenberg ist ein neues Fundament und Framework, auf dem alle Entwickler aufbauen können. Vor wenigen Wochen traf ich mich mit den Entwicklern von WordPress-Page-Buildern und dem Gutenberg-Team, um über deren Projekte und Anforderungen sowie über Fragen in Bezug auf das Thema Kompatibilität zu sprechen. Gutenberg wird in den Core von WordPress integriert und sollte hundert- bis zweihundertmal so viele Möglichkeiten bieten, wie der umfangreichste Page-Builder, der aktuell verfügbar ist. Das Rad muss dafür nicht neu erfunden werden, denn die Entwickler können auf dem gemeinsamen Gutenberg-Rahmen aufbauen und sich dann auf Differenzierungen im Hinblick auf Blöcke, Anpassungen, Designs und Themes konzentrieren.

Oliver Lindberg: Was sind die wichtigsten Gründe für WordPress-Profis, um bei der Erstellung von Webseiten künftig den Gutenberg-Editor zu nutzen?

Matt Mullenweg:

Die meisten WordPress-Anwender haben noch nie einen Page-Builder benutzt. Aber für diejenigen, die bereits einen verwenden und damit ziemlich zufrieden sind, wird sich auf den ersten Blick vielleicht nichts ändern. Wenn es gut funktioniert, würde ich sagen: „Mach dir keine Sorgen.“

Es gibt ein Dutzend Page-Builder, die auf dutzende verschiedene Arten arbeiten und genau dasselbe tun. Der Großteil der Page-Builder unterstützt nur eine bestimmte Anzahl von Themes und es gibt keine Interoperabilität. Der Vorteil einer Standardisierung im Core ist, dass es mit Gutenberg Interoperabilität geben wird, so dass ein Theme, das für Gutenberg gebaut wurde, überall funktioniert. Selbst wenn man von einem zu einem anderen Page-Builder wechselt, wird alles noch funktionieren.

Oliver Lindberg: Wie sehen Sie die Rolle der Entwickler und Designer von WordPress in den nächsten drei Jahren?

Matt Mullenweg:

Designer wollen immer noch, dass der Designer den Prozess bestimmt. Ich denke, es wird immer noch genügend Möglichkeiten für die großen Themes geben und die Nutzer werden weiterhin in der Lage sein, ihre Kreativität umzusetzen. Sie müssen nur die Perspektive etwas erweitern, denn früher boten Themes nur sehr begrenzte Möglichkeiten für Individualisierungen an. Die Theme-Entwickler und –Designer müssen heute weiterdenken.

Oliver Lindberg: Wie arbeiten die Designer und Entwickler von WordPress und Automattic zusammen, um ein besseres Benutzererlebnis zu schaffen?

Matt Mullenweg:

In den letzten anderthalb Jahren haben wir eine große Veränderung angestoßen, als ich die Core-Entwicklung von WordPress übernommen habe und neue Schwerpunkte angekündigt habe, darunter Gutenberg. Ein Punkt, den wir erstmals umsetzen konnten, ist, dass wir jeden Lead-Entwickler mit einem Lead-Designer verbunden haben und dafür gesorgt haben, dass bei jedem Schritt – von der Konzeption bis zum Prototyp –  das Thema Design einen Platz mit am Entwicklungstisch bekommen hat. Das erlaubt uns, die Entwicklung zu beschleunigen. Alles, was wir entwickeln, wird für unsere Zielgruppe von Anfang an besser geeignet sein. Wir müssen nicht erst das Ende des Entwicklungsprozesses abwarten, um es dann auszuprobieren. Tammie Lister und andere haben während des gesamten Prozesses immer wieder Benutzertests durchgeführt. Das haben wir zu einer iterativen Schleife gemacht, wodurch die Software Schritt für Schritt immer besser geworden ist.

Oliver Lindberg: Wie funktioniert das Pairing in der Praxis, da WordPress und Automattic eigene Unternehmen sind?

Matt Mullenweg: Wir chatten miteinander und teilen Dinge online und stellen sie auf den P2. Es gibt ein wöchentliches Treffen im wordpress.org Slack, wo die Teams zusammenkommen und jeder teilnehmen kann. Es ist völlig offen, du kannst dich einloggen und es dir ansehen.

Oliver Lindberg: Was hältst du für deine größten Erfolge in 15 Jahren WordPress?

Matt Mullenweg:

Worauf ich am meisten stolz bin, ist die globale Gemeinschaft. Ich komme aus Texas. Ich spreche leider nur eine Sprache, aber wenn eine neue Version von WordPress herauskommt, ist sie am ersten Tag in 15 Sprachen verfügbar. WordPress bringt Gruppen von Menschen zusammen, die zwar in vielerlei Hinsicht unterschiedlich sind, aber eine gemeinsame Überzeugung haben: die Überzeugung, dass wir ein besseres Web schaffen können und dass Open-Source die Grundlage ist, auf der wir diese Zukunft aufbauen können. Diese Überzeugung hat weit mehr Menschen zusammengebracht, als ich mir je hätte vorstellen können. Als ich anfing, waren das Nischenideen und Open Source nicht sonderlich beliebt – insbesondere bei Anwendern. WordPress und andere Anwendungen haben dabei geholfen, dass sich dieses Bild geändert hat. Wenn mein Lebenswerk darin bestehen sollte, Open Source für mehr Menschen verfügbar gemacht zu haben, ist das ein guter Weg. Und ich denke, die Themen Open Source und WordPress werden mich weiter beschäftigen, solange ich lebe.

Oliver Lindberg: Wie wichtig sind für WordPress Märkte wie Indien und Afrika, in denen Menschen auf unterschiedliche Weise auf das Internet zugreifen?

Matt Mullenweg:

Das ist einer der Gründe, warum ich in meiner Präsentation heute auf mobile Apps ausgerichtet habe. Im letzten Monat hatten wir 1,3 Millionen Beiträge und 3,7 Millionen Fotos und Videos, die über mobile Apps gepostet wurden. Ich kann mir gut vorstellen, dass Nutzer in Zukunft die Welt der Desktop-PCs vielleicht überspringen und direkt mit Android- und iOS-Geräten arbeiten. Die gute Nachricht ist, dass WordPress in Indien und Afrika eine starke Präsenz hat und immer stärker wird. Und die Anwendung ist Open Source, was in beiden Ländern sehr ungewöhnlich ist.

Oliver Lindberg: Was ist der Schlüssel für ein erfolgreiches großes Open-Source-Projekt?

Matt Mullenweg:

Der wichtigste Schlüssel ist wahrscheinlich, wirklich offen und transparent zu sein – so sehr, dass es manchmal weh tut. Aber das ist es, was die Gemeinschaft erwartet und was den offenen Dialog und die integrative Entwicklung fördert. Das ist es, warum Open Source so gut funktioniert.

Oliver Lindberg: Sind wir an einem Wendepunkt? Wird das Web offener und verlieren geschlossene Plattformen an Bedeutung?

Matt Mullenweg:

Noch nicht. Es gibt Hunderte von Milliarden Dollars, die dazu verwendet werden, das Netz geschlossener zu machen. Aber es gibt auch eine Gruppe von Leuten, die wirklich an Open Source glauben und versuchen, das Netz offener zu machen. Beide Kräfte sind sehr mächtig. Letztendlich denke ich, dass es um die Menschen geht. Deswegen ist die Seite pro Open Source im Vorteil und diese Seite ist es, für die ich arbeite.

Oliver Lindberg: Welche Rolle spielen Hosting-Unternehmen im WordPress-Universum?

Matt Mullenweg:

Die Rolle von Hosting-Unternehmen ist sehr entscheidend. Das wichtigste ist, das Hosting-Unternehmen sicherstellen, dass Anwender immer die neuesten Versionen von PHP und MySQL benutzen, was die Arbeit schneller und sicherer macht. Hosting-Unternehmen sollten zudem sicherstellen, dass die Anwender immer die neueste Version von WordPress verwenden, was natürlich jedem hilft.

Darüber sollten sich Hosting-Unternehmen verstärkt darum kümmern, dass ihre Support-Mitarbeiter zum Thema WordPress geschult werden. Wenn du als Kunde anrufst, ist der Support deine erste Anlaufstelle. Deshalb sollten alle Support-Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung über ein Basiswissen zum Thema WordPress verfügen, damit sie elementare Fragen beantworten können.

Oliver Lindberg: Hast du ein Lieblingsprojekt, das auf WordPress basiert?

Matt Mullenweg:

Ich habe neulich eine Webseite gesehen, die sehr lustig war, sie heißt: Girls and their cats. Es gibt ja diesen Mythos von der Katzenlady als einer alten Jungfer. Das ist ein ziemlich negatives Stereotyp. Aber die Webseite „Girls and their cats“ interviewt Frauen mit Katzen und lässt diese Katzenladies fantastisch aussehen. Es ist fast wie ein Mode-Shooting. Die Frauen erzählen ihre Geschichten und natürlich die Geschichte, wie sie ihre Katzenfreunde gefunden haben.

Zur Webseite von girlsandtheircats.com

Oliver Lindberg: Wie siehst du die Entwicklung von WordPress und welche Art von Funktionen stehen für dich im Vordergrund?

Matt Mullenweg:

Ich bin sehr gespannt, die ersten Gutenberg-Themes zu sehen, die gerade herauskommen. Und wenn wir die Customisation-Funktionalität haben - die zweite Phase von Gutenberg - werden wir diese Funktionalität mit einem der neuen Standard-Themes von WordPress verbinden, das dann vollständig individualisierbar sein wird. Ich bin sehr neugierig darauf, zu sehen, was die Anwender damit machen und wie die Theme-Entwickler mit den kreativen Möglichkeiten dieser neuen Umgebung umgehen.

Aus dem Englischen: Wolf-Dieter Fiege

Titelmotiv: Photo by Florian Ziegler, released under CC-BY SA